Michael Polich, Vizepräsident des Branchenverbands Thurgauweine, spricht im nachfolgenden Interview über aktuelle Entwicklungen in der Thurgauer Weinbranche, über neue Weintrends und über die Auswirkungen der Coronakrise auf den Weinkonsum. Und er verrät den Thurgauer Spitzenjahrgang dieses Jahrtausends.
Quelle: Unser Thurgau
Michael Polich, der Thurgau gilt als eine kleine, aber qualitativ hochstehende Weinregion. Wie entwickelt sich denn die Rebfläche?
„Die Thurgauer Rebfläche umfasst rund 250 Hektaren, das entspricht in etwa 350 Fussballfeldern. Allerdings ist die bestockte Fläche aktuell eher abnehmend. Hauptgrund ist sicher der hinkende Weinabsatz, der durch die Coronakrise mit den Schliessungen der Restaurants und dem Verbot von Grossveranstaltungen noch wesentlich verschärft wurde. Einige Weinbaubetriebe haben vorübergehend ältere Bestände, die sie so oder so in nächster Zeit remontieren wollten, gerodet und warten auf ‚bessere Zeiten‘, wohl auch mit dem Gedanken, eine andere Sorte zu pflanzen.“
Wie viele Rebbewirtschafter gibt es im Kanton?
„Ende 2019 waren es 164 Bewirtschafter, wobei im Augenblick aus verschiedensten Gründen gerade eine Umstrukturierung stattfindet. Dies auch deshalb, weil verschiedene Kleinbewirtschafter altershalber aufgeben und keine Nachfolge innerhalb der Familie gefunden wird. Auf der anderen Seite gibt es Betriebe, die flächenmässig wachsen. Aktuell gibt es im Kanton insgesamt 22 Betriebe, die Trauben keltern. Dazu kommen noch 15 ausserkantonale Kelterer, die Thurgauer Trauben verarbeiten.“
Wie viele Liter Wein werden im Thurgau produziert?
„Rund 1,4 bis 1,6 Millionen Liter, wobei diese Zahlen von Jahr zu Jahr stark variieren. Im vergangenen Herbst war die Erntemenge ziemlich bescheiden, das lag insbesondere am schlechten Blühwetter im Juni, was zu schlechtem Anbeeren, den sogenannten Verrieselungen führte. Wie gesagt ist es schwierig, Produktionszahlen zu nennen, da jeder Jahrgang mengenmässig anders ausfällt. Aber tendenziell – sollte die Krise noch länger anhalten – ist die Erntemenge eher sinkend, da die grösseren Kellereien wegen dem schleppenden Absatz weniger Trauben übernehmen können.“
Wie ist das Produktionsverhältnis von Rotwein zu Weisswein?
„Bis zu Beginn der 90-er Jahre gab es nur vier Rebsorten: Blauburgunder – Pinot Noir, Müller Thurgau – Riesling Silvaner, Pinot Gris – Grauburgunder und den Gewürztraminer. Das Verhältnis war lange zwei Drittel Rot und ein Drittel Weiss. Mit der Erweiterung der Sortenliste wurden nach und nach mehr verschiedene Sorten gepflanzt. Heute gibt es im Thurgau 35 weisse und 35 rote Sorten, die als AOC-Weine abgesetzt werden können.“
Der Trend geht offensichtlich eher hin zu Weisswein …
„Ja, das stimmt. Gründe dafür sind unter anderem das Konsumverhalten der Weintrinker und die Tatsache, dass mehr auf Ökologie geachtet wird. Kommt hinzu, dass bei den ‚neuen Sorten‘ aufgrund ihrer Teilresistenz gegen Pilzkrankheiten im Weissweinbereich mehr geeignete Sorten zur Verfügung stehen. Damit meine ich nicht nur die positiven Eigenschaften im Anbau und beim Pflanzenschutz, sondern auch das Potenzial, daraus bekömmliche- und kundenfreundliche Weine herzustellen zu können.“
Welche Rebsorten dominieren denn im Thurgau?
„Bei den weisse Sorten sind es nach Flächenanteil Müller Thurgau, Pinot gris, Sauvignon blanc, Solaris, Chardonnay und Gewürztraminer, bei den roten Sorten Blauburgunder – Pinot noir, Regent, Garanoir, Cabernet Jura, Maréchal Foch und Merlot.“
Hat sich da was in den jüngsten Jahren verändert?
„Ja, eine gewisse Veränderung gab es allein schon wegen dem Klimawandel: Aufgrund der wärmeren Jahre ergibt sich die Möglichkeit, Sorten anzupflanzen, die sonst nur im Wallis oder südlichen Ländern vorkommen. Ich denke da zum Beispiel an die klassischen Sorten des Bordelais wie Cabernet Sauvignon, Merlot oder Syrah.“
Die verschiedenen Trends und Vorlieben der Konsumenten stellen die Produzenten bestimmt vor enorme Herausforderungen …
„Ja, wir als Weinproduzenten sind immer wieder herausgefordert, uns der Marktsituation und dem Konsumverhalten anzupassen. Dabei hat ein gestandener Weinliebhaber ganz andere Vorlieben als die jungen ‚Einsteiger‘, die sich oft gewohnt sind, gesüsste und kohlensäurehaltige Getränke zu trinken. So versucht man fast jeden Herbst von neuem, mit den bestehenden Sorten entsprechende Weine zu keltern, beispielsweise auch durch Cuvées oder Assemblagen. Neue Sorten zu pflanzen ist einerseits immer ein gewisses Wagnis und andererseits auch eine Kostenfrage, denn eine Rebanlage ist erst nach rund 25 Jahren abgeschrieben, kann aber gut und gern 35 bis 40 Jahre guten Ertrag liefern.“
Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf den Weinkonsum?
„Weil der Wein nicht in Restaurants und an Festen verkauft werden kann, wird er zu Hause getrunken. Der Kunde kommt aber nicht mehr so oft auf den Weinbaubetrieb zum Direktverkauf, sondern deckt sich gleich beim Einkaufen im Supermarkt mit Wein ein. Dabei ist es leider allzu oft ein ‚Ausländer‘.“
Wie sehen diesbezüglich die Perspektiven aus?
„Im vergangenen Jahr hat es beim Verkauf ab Keller erst ab dem Mai wieder angefangen. Wir hoffen nun, dass die Restaurants baldmöglichst wieder öffnen und auch Grossveranstaltungen wieder organisiert werden können.“
Wie ist die Qualität des Jahrgangs 2020?
„Die Qualität war im Herbst 2020 sehr gut, wie auch in den vergangenen Jahren. Dies ist sicher – wie bereits erwähnt – dem Klimawandel zu schulden …“
Und welches war denn der bisher beste Jahrgang in diesem Jahrtausend?
„2003 und 2018 waren Superjahre, beide sehr ähnlich und aussergewöhnlich. Im 2003 wusste man mit einer so tollen Traubenqualität noch nicht so richtig umzugehen, somit ist das Jahr 2018 von der Weinqualität das bessere gewesen, da hat einfach alles gestimmt: Menge, Güte und auch die Säurewerte.“