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Spaziergänge in Weinfeldens Vergangenheit

Verena Stämpfli, die Präsidentin der Volkshochschule Mittelthurgau, zeigte sich in ihrer kurzen Laudatio überwältigt, welches Echo die Veranstaltung in der Bevölkerung ausgelöst hatte. Gut 200 Leute – man darf wohl mutmassen, dass es sich vorwiegend um Weinfelderinnen und Weinfelder handelte, – haben am Freitagabend den Weg ins Rathaus gefunden. Es war ein Abend zum Schwelgen und Eintauchen in vergangene, aber dennoch irgendwie präsente Lebenswelten, Blicke hinter Scheunentore und Anekdoten aus der Geschichte. Der Saal, der sich zu den Klängen des «Weinfelder-Liedes» schnell füllte, gab einen passenden Rahmen für die Buchvernissage, die als Gespräch mit der am Werk beteiligten Künstlerin Masha Petrushina sowie den Weinfelder Autoren Hans Jakob Keller und Franz Isenring angekündigt war.

Im Zentrum der Veranstaltung stand ein einzigartiges Buch: «Striche, Schritte, Jahre». Ein Dreiklang, der auf den Inhalt und seine Besonderheiten verweist: Es ist zum einen ein Kunstbuch, das um die 100 Tusche-Zeichnungen der weissrussisch-schweizerischen Künstlerin Masha Petrushina von Gebäuden, Details, Landschaften, Gerätschaften, Personen enthält. Zum anderen ist es eine sehr persönliche Reise, indem es von der Erzählung des Enkels belebt wird, der mit seinem Grossvater das Dorf und seine Umgebung entdeckt und dabei in die Geschichte vergangener Lebenswelten eintaucht. Das ist das autobiografische, wenn auch fiktive Element, das dem Buch den roten Faden gibt: Hans Jakob Keller, aufgewachsen im Kanton Zürich, besuchte als Kind seine Weinfelder Grosseltern. Ein pensionierter Pilot, der unterdessen hier wohnhaft ist, aber die Welt bereist hat, nutzt die Zeit des Lockdowns, um seine Wurzeln zu entdecken; allein das weckt bei den Zuhörenden Emotionen. In Franz Isenring, dem ehemaligen Lehrer und Archivar der Bürgergemeinde und bekannt für seine lebendigen und wissensreichen Dorfführungen, hat Keller einen Partner gefunden, der die Erzählung mit lokaler Geschichte zu untermalen verstand. Gemeinsam begaben sie sich auf Spurensuche vergangener Lebenswelten.

Das dritte Element weist über das Buch hinaus, indem über QR-Codes Filme, weitere Materialien und Bilder den Inhalt ergänzen. Dafür wurden ausschliesslich Materialien aus dem Bürgerarchiv digitalisiert. Das Buch ist damit eine gute Möglichkeit, das Archiv und seine Schätze breiter bekannt und zugänglich zu machen, die Neugier auf eigene und weitere Entdeckungen zu wecken.

Darauf weist auch die Moderatorin des Abends, Carla Aubry, hin. Wie vielen anderen, die täglich an unseren Denkmälern und Schätzen im täglichen Strudel vorbeimarschieren, seien auch ihr viele Dinge nicht bekannt, bewusst oder aufgefallen.

Für solches ist der Blick von aussen oft hilfreich. Die im Emmental lebende Künstlerin Masha Petrushina versinkt konzentriert in das Foto, das sich in ihrem Geist entwickelt, zeichnet still und präzise, ob stundenlang im Stehen, auf dem Baugerüst in der Kirche oder in einem Torggel. «Ich finde nicht Sujets, sie finden mich, sinniert die ursprünglich aus Minsk stammende Künstlerin. Gut 110 und mehr Male, wie Keller sagt, reiste sie nach Weinfelden, um vor schönen Sujets zu verweilen. Strich für Strich entstanden in zwei Jahren Kunstwerke, die das Buch illustrieren und an der Vernissage auch feilgeboten wurden.

So war die musikalisch von einem Streicher-Trio stimmungsvoll untermalte Gesprächs-Vernissage, durch welche Carla Aubry sehr einfühlsam führte, auch eine Ausstellung. Und mit einer Ausstellung habe damals alles angefangen: Keller besuchte im Emmental eine solche der Künstlerin und war sofort von ihren Werken bzw. ihrer Arbeitsweise angetan. Die Idee für ein Buch über seine eigene Entdeckungsreise, die an gezeichneten Stationen vorbeikommen sollte, reifte. Anfänglich habe man die Zeichnungen mit Geschichten aus der Weinfelder Chronik von Jacob Ulrich Keller (1808–1869), mit der sich Isenring aktuell gerade intensiv beschäftigt, «illustrieren» wollen. Schliesslich hat man sich im nun vorliegenden Format getroffen. Ein konstruktives Ringen und sehr gutes Zusammenarbeiten, wie alle drei Beteiligten betonen.

Die Protagonisten gaben im Gespräch viel Persönliches preis und zeigten sich sichtlich bewegt und dankbar – für die Zusammenarbeit und das Zusammenfinden dreier Zugänge zu einem, für das Engagement der Sponsoren, allen gegenüber, die sie unterstützt, ermuntert sowie Haus- und andere Türen geöffnet haben. Und Weinfelden darf bestimmt dankbar für das schöne Werk sein:

Der hiesigen «Wolfau-Druck AG», dem vierten Partner, der von Anfang an ans Projekt geglaubt habe, ist wieder ein sehenswertes und sorgfältig gestaltetes Werk gelungen. Es ergänzt die bisherige Literatur über Weinfelden mit einem eigenen Zugang. Die Spaziergänge kann jede und jeder nachvollziehen.

Und: Das Buch ist natürlich ein ideales Weihnachtsgeschenk (etwa für «Heimweh-Weinfelder/innen»), das in der Buchhandlung «Klappentext», beim Verleger «Wolfau-Druck» selbst, im Laden «Frappant», in der Papeterie «Schäfler» (und natürlich in jeder Buchhandlung) bezogen werden kann.

Hans Jakob Keller, Masha Petrushina, Franz Xaver Isenring: Striche – Schritte – Jahre. Kunst und Geschichte vereint – eine Entdeckungsreise auf Weinfelder Pfaden. Weinfelden, Wolfau-Druck 2022.
ISBN 978-3-9524351-4-4
CHF 65.00

Text und Foto: Michael Mente

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