Die Schweizer Städte und ihre Einwohnerinnen und Einwohner wollen eine Aufwertung ihrer öffentlichen Räume. Dies geschieht durch eine Neuaufteilung der Flächen, die für die Mobilität genutzt werden, inklusive Parkierungsflächen. Während die Strasse in den 1980er-Jahren weitgehend dem motorisierten Individualverkehr (MIV) gehörte, erleben wir seither die Ausbreitung von Fussgänger-, Tempo-30 und Begegnungszonen. Der öffentliche Raum im Kontext der Mobilität befindet sich in ständigem Wandel. Mit der Publikation der Studie «Urbane Strassenraumnutzung in der Schweiz – Explorative Studie zu verschiedenen Instrumenten mit Fokus auf den Superblock», zieht die Städtekonferenz Mobilität (SKM) Bilanz über die Massnahmen, die in den letzten 25 Jahren im Rahmen der Anstrengungen der Rückgewinnung des öffentlichen Raums für die Menschen getroffen wurden, und sucht nach künftigen Optionen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zu den 1980er-Jahren waren die Städte der Dominanz des Autos unterworfen. Dann lösten gesundheitliche Bedenken im Zusammenhang mit der Umweltverschmutzung durch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren und der Lärmbelastung einen Prozess aus, der noch heute im Gange ist: Die Rückgewinnung des öffentlichen Raums durch die Stadtbewohnerinnen und –bewohner, Gäste und Arbeitspendlerinnen und –pendler zur Steigerung der Aufenthaltsqualität. Dabei geht es nicht nur um Parks und Plätze, sondern vielmehr um den gesamten öffentlichen Raum, der auch die Strassen und die Parkplätze miteinbezieht. Mittlerweile wurde der Begriff «Verkehrsweg» (Englisch «road», Französisch «route») als Achse, die vorwiegend auf die Bedürfnisse des MIV zugeschnitten ist, von der «Strasse» (Englisch «street», Französisch «rue») als Begriff, der sämtliche Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum abdeckt, abgelöst: Damit stehen die Bedürfnisse des MIV nicht mehr im Zentrum der Entwicklung, wichtiger werden heute die Bedürfnisse des Fussverkehrs, der öffentlichen Verkehrsmittel, des Velos, der Begrünung, der Biodiversität, der Verkehrssicherheit, des Aufenthalts usw.
Eingesetzte Instrumente
Die Schweizer Städte haben in diesen letzten Jahrzehnten vor allem drei Instrumente zur Rückgewinnung des öffentlichen Raums für die Menschen und die Umwelt genutzt. Zunächst einmal die Fussgängerzonen, die in den 1980er-Jahren entstanden und den Fussgängerinnen und Benutzern von «fahrzeugähnlichen Geräten» (konventionelle Trottinette, Skateboards usw.) vorbehalten sind. Die Velofahrerinnen dürfen sie im Schritttempo befahren. Ab 1989 wurde damit begonnen, Tempo-30-Zonen einzurichten; zunächst nur zaghaft vor allem in grösseren Städten, weil die Verfahren damals sehr komplex waren. Seit der Jahrtausendwende haben sie sich dann auf alle Städte ausgeweitet und sie sind inzwischen unangefochten die Norm in den Wohnquartieren. Als drittes Instrument zur Rückgewinnung des öffentlichen Raums ist schliesslich 2002 in Burgdorf die erste Begegnungszone entstanden. Seither entstehen solche Zonen überall im Land und an unterschiedlichsten Orten: an Einkaufsstrassen, bei Bahnhöfen, in Altstadtquartieren, auf zentralen Plätzen, vor Schulen und natürlich in den Quartieren.
Wie es weitergeht: Kommen Superblocks «à la Suisse»?
Heute haben die Städte mit zwei grossen Herausforderungen zu kämpfen. Erstens macht die Klimakrise sowohl im Hinblick auf die Verminderung der Treibhausgasemissionen als auch auf die Anpassung an die steigenden Temperaturen den Einsatz energiesparender Verkehrsmittel und die Schaffung von Grünflächen unabdingbar. Zweitens unterstützen Bevölkerung und Städte eine urbane Innenentwicklung, was die Mobilitätsströme innerhalb des Stadtgebiets erhöht. Dies erfordert eine Verlagerung auf flächeneffiziente Fortbewegungsarten. Während sich die derzeit genutzten Instrumente zur Förderung kollektiver oder sanfter Fortbewegungsarten und zur Begrünung öffentlicher Flächen bewährt haben, denken die Städte auch über neue erweiterte Ansätze nach. Ein Beispiel dafür ist der Superblock, ein Konzept, das von der Stadt Barcelona erfunden und erfolgreich umgesetzt wurde. Dieser ganzheitliche Ansatz, der öffentliche Flächen, Mobilität, Grünflächen, Wasser- und Versickerungsflächen, sowie eine angemessene Hierarchie der Mobilitätsnetze umfasst, wird auch von mehreren Schweizer Städten erwogen.
Die heute veröffentlichte Studie, die von der HEIG-VD (Haute Ecole d’Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud) und der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) gemeinsam realisiert wurde, geht detailliert auf dieses Konzept der integrierten Planung ein. Sie hebt die Schlüsselfaktoren für den Erfolg ambitionierter Projekte hervor: Regelmässige Kommunikation in Verbindung mit öffentlicher Partizipation, stufenweise Umsetzung, gute Koordination der verschiedenen Projekte und ein Regelwerk, das sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln kann. Vorab geben die Autoren und die Autorin der Studie einen Überblick über die Mobilitätsmassnahmen und Instrumente zur Umgestaltung des urbanen öffentlichen Raums in der Schweiz und im Ausland.
Die Studie kann hier heruntergeladen werden: LINK.
Städtekonferenz Mobilität
Die Städtekonferenz Mobilität (SKM) ist ein Zusammenschluss von 20 der Schweizer Städten, die die «Charta für eine nachhaltige städtische Mobilität» als Grundlage für einen stadtverträglichen Verkehr unterzeichnet haben. Die SKM nimmt zu verkehrspolitischen Fragen Stellung und bietet mit Studien und Fachveranstaltungen Grundlagenarbeiten und Wissensvermittlung.
https://skm-cvm.ch/de/Info/Aktuell
Quelle: Städtekonferenz Mobilität