Neuzugang beim Verein MThB-NPZ: der letzte „SeeGTW“ bleibt erhalten

Eine Doppeltraktion RABe526 SeeGTW an einem Frühlingsmorgen auf einer ihrer letzten kommerziellen Einsätze auf der S9 bei Bütschwil im Toggenburg. Während der werktäglichen Hauptverkehrszeit am Morgen und Abend verdienten die SeeGTW während den letzen Betriebswochen noch ihr Gnadenbrot. Auf dem zweiten Fahrzeug-Umlauf war bereits einer der durch Thurbo übernommenen ex.RM-GTW eingeteilt.
Foto: S. Gmür, 29.03.2021

Die zehn 1998-1999 von Stadler Bussnang AG an die damalige Mittelthugaubahn (MThB) gelieferten Fahrzeuge waren die ersten Niederflurzüge im Kanton Thurgau. Die MThB hatte wenige Jahre zuvor die von der SBB lange Zeit vernachlässigte «Seelinie» für 10 Jahre in Pacht übernommen und benötigte dafür neues Rollmaterial. Die neuen Fahrzeuge und der verdichtete Fahrplan brachten einen weiteren Schub zur Attraktivierung der Eisenbahnlinie Schaffhausen-Romanshorn.

Das Rollmaterial wurde damals bewusst kostengünstig und nur für eine Einsatzdauer von 20-25 Jahre beschafft. Im kommerziellen Betrieb fand die letzte Fahrt mit einem SeeGTW kurz vor den Sommerferien 2021 statt. Der Verein MThB-NPZ hat nun eines dieser Fahrzeuge übernommen und wird es erhalten.

Die Bahnlinie Schaffhausen-Romanshorn, im Volksmund Seelinie genannt, wurde jahrelang vernachlässigt. Der Zustand der Bahnhöfe, Gleise und Stellwerke verschlechterte sich von Jahr zu Jahr. Ein wenig zuverlässiger Fahrplan mit Taktlücken trug das seine dazu bei, dass nur wenig Fahrgäste in den Zügen mitfuhren. Die SBB überlegte sich sogar lautstark die komplette Stilllegung der Linie.

Mitte der 90er Jahre zeichnete sich dann eine Lösung ab. Die damals kleine Mittelthurgaubahn übernahm die Seelinie in Pacht und modernisierte sie grundlegend. Die Bahnhöfe wurden nach und nach umgebaut, Publikumsbereiche modernisiert und Signalanlagen neu erstellt. Um näher zu den Fahrgästen zu kommen wurden zusätzliche, einfach ausgestattete, Haltestellen erstellt.

Zeitgleich schrieb die MThB neue niederflurige spurtstarke Züge für die flache Strecke entlang des Unter- und Bodensees aus. Die damals noch kleine Firma Stadler aus dem thurgauischen Bussnang setzte sich mit ihrem Modell „Gelenktriebwagen GTW“ durch. Mit Zügen dieses Typs hatte die MThB bereits erste Erfahrungen in der Dieselversion auf der deutschen Seehäsle-Strecke Radolfzell-Stockach gemacht.  

Die neuen Fahrzeuge boten erstmals im Thurgau niveaugleiche Einstiege ab der Perronhöhe 55cm über Schienenoberkante (Normhöhe für Bahnsteige in der Schweiz) sowie zwei Mehrzweckabteile für Velos und Gepäck resp. Klappsitzen. Eine starke Lüftung sorge für den Luftaustausch, denn es gab nur noch einige wenige Klappfenster zum öffnen. Eine Klimaanlage wurde nach etwa der halben Lebensdauer nachgerüstet. Ein automatisches Fahrgastinformations-System brachte erstmals akustische und optische Informationen über die Halteorte in den Zug. Auf beinahe allen Unterwegsstationen wurde „Halt auf Verlangen“ eingeführt. So musste der Zug nicht unnötig anhalten wenn niemand ein- oder aussteigen wollte. Die offene Bauweise der Wagen bot eine Sicht durch fast das ganze Fahrzeug und steigerte so die subjektive Sicherheit der Fahrgäste.

Die  Bemühungen der MThB kamen bei der Bevölkerung gut an und so stiegen die Fahrgastzahlen von Jahr zu Jahr. Bereits 1999 wurden zur Verstärkung der Flotte vier passende 2. Klasse-Steuerwagen (Bt) mit viel Platz für Fahrräder und Gepäck beschafft.

Der RABe 526 689-3 (SeeGTW) nach der Übernahme durch den Verein MThB-NPZ.
Foto: S. Gmür, 09.09.2021

Als der Mittelthurgaubahn 2002 die finanziellen Mittel ausgingen wurde sie kurz darauf liquidiert. Die SeeGTW und die Steuerwagen ging an die neugegründete Thurbo über. Ihr Stammeinsatzgebiet blieb vorerst unverändert bis sie die immer grösser werdenden Thurbo auf anderen Linien einsetzte. Am Bodensee fuhren dann schon bald die neubeschafften GTW der zweiten Serie (von diesen beschaffte Thurbo insgesamt 95 Fahrzeuge).

Noch lange trugen die SeeGTW das Design der Mittelthurgaubahn. Einzig eine Folie auf der Seite machte sich deren Besitzer Thurbo erkennbar. Ende der 2000er Jahre verloren die Fahrzeuge dann jedoch ihr ursprüngliches Aussehen und fuhren neu im weissen Kleid der Thurbo.

Das Einsatzgebiet der Fahrzeuge änderte sich mit der Ablieferung der zweiten Serie GTW (runde Front). Die eckigen SeeGTW wurden fortan auf anderen Linien eingesetzt. Auf der Seelinie waren sie nur noch sehr vereinzelt Gast.

Schon vor mehreren Jahren machte man sich bei Thurbo Gedanken wie die in die Jahre gekommenen SeeGTW dereinst ersetzt werden sollen. Man wollte weiterhin eine möglichst einheitliche Flotte betreiben. Fahrzeuge der GTW-Familie besass neben jedoch nur die SBB. Diese stellten dort eine Splittergattung dar; wurden sie doch bereits aus zweiter Hand übernommen. Ursprünglich bestellte sie der „Regionalverkehr Mittelland“, welcher später in der BLS aufging. 2020 war es dann nun soweit und die von der SBB im Jurabogen eingesetzten Fahrzeuge wurde dort durch andere Fahrzeuge ersetzt. Bei einer kleinen Revision in Bellinzona erhielten die ex.RM-GTW mitunter das Design der Thurbo.

Von Anfang Jahr bis Juni 2021 wurden die SeeGTW nach und nach in Etzwilen abgestellt. Nach dem Ausbau noch verwertbarer Teile wurden die ausrangierten Fahrzeuge etappenweise zu Verwerten bei Luzern und Basel überstellt. Das letzte in Betrieb stehende Fahrzeug 526 689, welches kurz vor Einsatzende noch eine neue Stromabnehmer-Wippe erhielt, wurde am 30. Juni 2021 aus dem Verkehr genommen und nach Etzwilen überstellt. Am Morgen des 9. September 2021 wurde es zusammen mit dem Steuerwagen 224 nach Kaiseraugst zur Verwertung überstellt.

Der Verein MThB-NPZ sieht sich dem Erhalt der „eckigen“ Fahrzeugen der Mittelthurgaubahn verpflichtet. Ein Fahrzeug der ersten GTW-Generation sollte daher unbedingt erhalten bleiben. Der Vorstand hat deshalb schon frühzeitig Interesse bei Thurbo angemeldet. Diese wollte sich jedoch noch nicht festlegen ob und zu welchen Konditionen ein Fahrzeug übernommen werden könnte, solange sie selber noch Bedarf daran hat.

Im Juni 2021 wurde es dann konkret. Dem Verein wurde ein Angebot unterbreitet. Leider lag dies jedoch weit über den finanziellen Möglichkeiten des Vereins. Auf Nachfrage wurden dem Verein ausführlich die hauptsächlich pekuniären Gründe genannt.

Nach einer ersten Frustphase überlegte man sich weiter Möglichkeiten. Ein Fundraising kam nicht in Frage, da dies erst kurze Zeit zuvor für den NPZ durchgeführt wurde. Anfragen bei weitern potentiellen „Göttis“ blieben unbeantwortet oder wurden abschlägig beantwortet. Als letzte Möglichkeit kam dem Verein die zündende Idee, beim Kanton Thurgau anzuklopfen. Der Leiter der Abteilung öffentlicher Verkehr, Stefan Thalmann, war sofort von der Idee begeistert und setze alle nötigen Hebel in Bewegung. Sämtliche beteiligten Parteien unterstützen die Idee vom Erhalt eines GTW zu einem für den Verein finanzierbaren Preis.

Anfang September 2021 konnte der Vertrag zwischen Thurbo und dem Verein MThB-NPZ zur Übernahme des RABe 526 683 unterzeichnet werden. Das Interieur soll in nächster Zukunft sanft umgestaltet werden und den Bedürfnissen des Vereins angepasst werden. Das äussere Design soll wieder weitgehend dem Zustand bei der Ablieferung an die MThB entsprechen.

Einige Daten zum übernommenen Fahrzeug:

Fahrzeugnummer UIC:          94 85 7526 683-8
Bezeichnungen:                     SeeGTW, Bluemechistli, Seegurke
Inbetriebnahme:                     07.01.1999 durch die Mittelthurgaubahn
Ausserbetriebnahme:            15.05.2021 durch Thurbo
Übernahme:                           September 2021 durch den Verein MThB-NPZ

Der Verein nimmt gerne neue Mitglieder auf.
Der Jahresbeitrag beträgt 25 Fr.

www.mthb-npz.ch
info@mthb-npz.ch
www.facebook.com/mthbnpz

Quelle: Verein MThB-NPZ

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