Nur einer der Äpfel im Koffer ist echt, aber welcher? Museumsgestalterin Eliane Huber und Museumsleiter Hannes Geisser in der neuen Ausstellung im Naturmuseum Thurgau. Bild: Kanton Thurgau / Naturmuseum Thurgau
Zwei der spannendsten Schätze des Naturmuseums Thurgau sind neu in der Dauerausstellung zugänglich: Die Holzbibliothek des Benediktiner Paters Candid Huber und die Wachsfrüchte des Obstbaufachmanns Johann Volkmar Sickler. Die beiden aussergewöhnlichen Werke erlauben eine Zeitreise mehr als 200 Jahre zurück in die Vergangenheit.
Die Holzbücher und die Obstsortenmodelle wurden um 1800 hergestellt, um Fachliteratur aus dem Forstwesen und dem Obstbau anschaulich zu illustrieren. Schon zu ihrer Entstehungszeit beeindruckten sie die Käufer mit ihrer Schönheit. Gleichzeitig vermittelten sie das Fachwissen auch für Nicht-Spezialisten auf sinnliche Weise. Das ist heute nicht anders: Die Farben der Wachsfrüchte leuchten wie echt, sodass man die Früchte zu riechen meint. Und im Innern der Holzbände finden sich Pflanzenteile, die die lange Zeit nahezu unbeschadet überstanden haben.
Früchte aus Wachs
Von 1795 bis 1811 liess der deutsche Pfarrer und Obstbaufachmann Johann Volkmar Sickler (1770-1820) wirklichkeitsgetreue Wachsmodelle von Äpfeln, Birnen, Kirschen, Zwetschgen, Pflaumen, Pfirsichen und Aprikosen in Serien von jeweils 300 Stück herstellen. Er vertrieb dieses «Pomologische Cabinet» zusammen mit seiner Zeitschrift «Der Teutsche Obstgärtner». Sicklers Anliegen war es, Sortenkenntnis und Fachwissen des Obstbaus in der Bevölkerung zu verbreiten, da diese für eine erfolgreiche Zucht grundlegend sind. Das Naturmuseum Thurgau ist im Besitz einer der wenigen bis heute erhaltenen Wachsmodellsammlungen Sicklers und der kompletten Zeitschriftenreihe. Vollständigkeit, Zustand und Qualität von Sammlung und Schriften sind weitherum einmalig und konnten dank glücklicher Umstände 2016 vom Naturmuseum erworben werden.
Bücher aus Holz
Gewissermassen das zeitgleiche, waldbauliche Pendant zum «Pomologischen Cabinet» ist die Holzbibliothek, eine Sammlung von Holzarten in Form von Büchern, die der Benediktiner Pater Candid Huber (1747-1813) zwischen 1790 und 1804 serienmässig herstellte. Jeder Band porträtiert eine Baum- oder Strauchart. Buchdeckel und Buchrücken sind aus dem entsprechenden Holz und seiner Rinde gefertigt. Im Innern befindet sich ein sorgfältig zusammengestelltes Herbarium mit übrigen Pflanzenteilen. Zusammen mit den von Huber verfassten zwei «Naturgeschichten der Holzarten» vermittelt die Holzbibliothek einen umfassenden Stand des waldbaulichen Wissens der damaligen Zeit. Dabei geht es nicht nur um die Biologie der porträtierten Bäume und Sträucher, sondern auch um die vielseitigen Verwendungszwecke all ihrer Teile als Gerb- oder Färbmittel, Medizin, Heiz- und Werkstoff. Von den rund ein Dutzend bis heute erhaltenen Holzbibliotheken von Candid Huber ist diejenige des Naturmuseums mit 135 Bänden eine der umfangreichsten.
Eintauchen in die Vergangenheit
Die beiden aussergewöhnlichen Objekte werden gemeinsam im neuen Ausstellungsteil «Früchte aus Wachs. Bücher aus Holz» dauerhaft präsentiert. Hier lässt es sich eintauchen in die Welt der Obstleidenschaft von Sickler und in die Welt des Forstwesens von Huber und ihren Zeitgenossen. Zu sehen sind über 100 Modelle verschiedenster Obstsorten aus Sicklers «Pomologischem Cabinet» und sämtliche Bände von Candid Hubers Holzbibliothek. An zwei digitalen Stationen lässt sich in den dazugehörigen Fachbüchern blättern: So erfährt man, wie aus Kornelkirschen Oliven herzustellen sind oder inwiefern ein Vogelbeerbaum einen Gaming-Ersatz bietet. Man kann sich in der Zuordnung von Apfelformen üben, sich durch eine 200jährige Tabelle scrollen und da und dort dem eigentümlichen Klang der damaligen Sprache lauschen. In der neuen Ausstellung im Naturmuseum lässt es sich über die bemerkenswerten Objekte staunen und am vielfältigen Wissen einer längst vergangenen Zeit teilhaben.
Quelle: tg.ch