«Fundstücke aus der Weinfelder Geschichte und Kultur» - Nr. 6
Chluppebach, Löölibach, Harmoniibach, Rüdenbach, Möslibach – Diese und andere Bäche fliessen vom Ottenberg herab in den Giessen. Einige tragen anmutig klingende Namen. Ihre Aufzählung klingt wie ein Gedicht, das an Geschichten seit dem Mittelalter erinnert und vom Land erzählt, das sie benetzen. Und doch beginnt dieses Gedicht zu verstummen und die Liste im Gedächtnis der Weinfelder Stadt- und Dorfgemeinschaft kleiner zu werden: Es werden immer weniger, die noch alle Namen kennen. – Zeit für eine Spurensuche und Bestandesaufnahme.
Michael Mente
Der «Löölibach» hat nichts mit einem «Lööli» zu tun. Die Sache ist ganz unpersönlich, und es geht wie so oft darum, dass damit das Gebiet beschrieben wird, durch welches das Gewässer fliesst. Althochdeutsch Lô (langes -o-) oder das auch verbreitete Loch (ahd. Loh) bedeuten Wald, Hain, Holz, Gebüsch, seltener Feucht- oder Sumpfgebiet. In den meisten Fällen ist ein bewaldetes Tobel gemeint, in welchem ein Bach fliesst. Der Weinfelder «Löölibach» beginnt im «Lööli» unterhalb des «Stelzenhofs», fliesst schliesslich in den «Strussbergbach»; jener wandert abwärts, durchfliesst das Tobel bei der «Schnäggenburg» mit seinem versteckten und romantischen Höhlenplatz, durchquert schliesslich das Dorf, ab unterhalb Haffterpark eingedolt, um schliesslich in den «Giessen» zu fliessen. – Wie alle Bäche, die vom Ottenberg herabkommen.
Der «Gontscherschhoferbach» im «Schneller» (Nähe Burg) – Foto: M. Mente.
Es sind viele Bäche, die auf Weinfelder Gebiet seinem «Dorfbach» zulaufen. Die Flanke des Ottenbergs entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein regelrechtes Wasserschloss. Da gibt es wildromantische Wasserläufe und unscheinbare Fliessgewässer – doch wer sich an das Hochwasser von 1994 erinnert, weiss, dass diese Gewässer trotz allem nicht zu unterschätzen sind – und fast alle haben tatsächlich noch einen Namen.
Man kann die Gewässer auf Weinfelder Gemeindegebiet zu acht Zuläufen zusammenfassen, die vom Berg herabkommend in den «Giessen» münden. Von West nach Ost: «Chluppebach», «Tobelbach», «Harmoniibach», «Rüdenbach», «Gontershoferbach», «Möslibach», «Aspibach» und «Mülibach». Ausser dem «Rüdenbach», der seit 1906 eingedolt durchs Dorf wandert und oberhalb des Feuerwehrteichs beim Scherbenhof Richtung «Haustrasse» 2014 wieder freigelegt worden ist, haben alle Bäche unterwegs weitere Fliessgewässer mitgenommen. Und auch hier finden wir erstaunlicherweise immer noch viele, zum Teil sehr alte Namen.
Der «Chalchertobelbach», unterhalb der Tobelbrücke (vgl. Fundstück Nr. 2). – Foto: M. Mente.
Darunter gibt es aber einige, die unterdessen tatsächlich vergessen gegangen sind. Der Name «Birliboolbach», das ist der heutige «Hardertobelbach», ist seit dem 16. Jahrhundert, in der Zeit als unser «Trauben», die «Schwärzi» oder auf dem «Scherbenhof» gebaut wurde, historisch gut belegt, aber heute verschwunden. Was er bedeutet? «Birre» und «Bool» – eine Anhöhe mit Birnbäumen – und damit wieder einmal ein Hinweis auf unsere obstreiche Gegend. Und wenn wir schon bei den Bildern und Klischees sind, die man von unserer Region haben kann: «Chluppebach» hat nichts mit Klauen zu tun – oder doch, wenn man so will: Zwar steckt die Zange, etwas, das kneift oder klemmt, da drin; gemeint ist aber wohl eine Felsspalte, allgemein etwas, was das Bachbett verengt. Und solche Abschnitte passiert dieser längere Bach durchaus – das «Chueloch» oberhalb des Schlosses zum Beispiel.
Übrigens ist der «Chluppebach» einer der paar wenigen Bäche, die in ihrem Quellgebiet von mehreren namenlosen Zuläufen genährt werden. Ob jene Bächlein im Gebiet des «Raathof» zum Beispiel einst Namen hatten? Man wird es kaum mehr herausfinden. Zu bedenken ist auch, dass sich da und dort die Landschaft durch verschiedene Eingriffe unserer Vorfahren verändert hat und Bachläufe anders laufen oder vielleicht gar nicht mehr existieren.
Damit zurück zu den Lebenden. Bei genauer Betrachtung lässt sich auf (heutigem) Weinfelder Gebiet eine stattliche Anzahl von Bächen zusammentragen, die ihr Wasser vom Berg herab dem «Giessen» zutragen. Im Süden stösst nur der «Öölibach» dazu. Dieser Name erinnert an eine Ölmühle (Raps?).
Namen, welche die von Bächen durchflossenen Fluren bezeichnen: der «Aspibach» (das Espengehölz) und der «Eierlenbach» (Erlen), die von Bäumen reden, der «Agertenbach» (wenig fruchtbares Land, Brache), die Bäche im «Schwarzweiher»-, «Burg»-, «Bach»-, «Hardertobel»- oder einfach eben «Tobelbäche». Das «Chalchertobel» oberhalb des «Löölitobels» hat seinen Namen vermutlich von «Kalk» oder wie der Lehrer Adam Keller in den 1830er-Jahren in seinen Notizen zur «Schnäggenburg» meinte, von den «Chalchern», die dort wirtschafteten. Gebäude und wirtschaftliche Nutzung: «Harmoniibach», «Mülibach», «Burgbächli» (die «Neuburg») letztlich auch das «Thurbergbächli», der «Käsibach». Woher der «Rüdenbach» seinen Namen hat, muss offenbleiben; sein zweiter Name, «Gerbereibach» ist da schon wieder klarer. Ein Siedlungsname ist im «Gonterschhoferbach» offensichtlich und erinnert an das Quartier, das einst ein eigenes Dorf war. – Das nur ein paar Beispiele für den Weinfelder Namenschatz.
Mit den Bächen, die zum «Giessen fliessen», sind natürlich noch nicht alle Gewässer erwähnt, die auf dem Weinfelder Hausberg entspringen oder das Gemeindegebiet durchfliessen, wenn wir etwa an den «Loomühlibach» oder den «Ufhüüserebach» (auf der Gemeindegrenze beginnend) und die wohl namenlosen Parallelbäche bei der «Alp» denken.
Übrigens: Althochdeutsch «Giozo», Mittelhochdeutsch «Gieze» bedeutet nicht mehr und nicht weniger als «bewegtes Wasser», also «Bach», manchmal auch «Flussarm», «Bach in einer Auenlandschaft» (also der Nebenfluss – hier zur Thur). Die Bezeichnung ist im deutschsprachigen Raum verbreitet. Schade, dass unsere Vorfahren dem doch gut 14 km langen «Giessen» keinen bedeutungsvolleren Namen geben wollten. Denn bedeutend war er für Weinfelden, dem längsten Abschnitt bis zur Thur bei Amlikon, zweifellos: Noch im 19. Jahrhundert fanden auf dem Bach Schiffstransporte statt. Weinfelden hatte dafür sogar einen «Hafen»: Wo heute die Bank am Marktplatz steht, führte einst eine Treppe hinab zum offen fliessenden «Giessen».
Das Weinfelder Gebiet ist wasserreich. In einer Geschichte der Wasserversorgung, der Brunnen und Grundwasserquellen spielen auch die hier beschriebenen Bäche eine wirtschaftliche Bedeutung, oft Grenzen und Markierungspunkte, eine Geschichte, die so noch gar nicht beleuchtet worden ist.
Die hier gefundenen Namen lassen sich auf alten und neuen Karten, im «Thurgauer Namenbuch» oder durch Fragen bei der Bevölkerung in etwa noch rekonstruieren. Hier und da ist vielleicht nicht klar, ob nun das Tobel oder der Bach so heisst, ob es den Namen wirklich noch gibt oder noch ganz andere Nennungen möglich wären, ob der Name unterwegs wechselt. Abgegangene Namen lassen sich nur schwer finden. Der «Birliboolbach» ist da eine wunderbare Ausnahme. Das Gefundene ist im Schema und auf der Karte zusammengetragen und möge zu Spaziergängen oder eigenen Entdeckungen anregen.
Ein «Lööli», wer diesen besonderen Schatz verlorengehen lässt?
Ottenberg Bäche – Diagramm und Karte Michael Mente
Die Schiffländetreppe am Giessen, an der Stelle, wo sich heute der Marktplatz befindet. Gemälde von Rudolf Furter (zu diesen Bildern vgl. die Publikation von Martin Sax: Geschichten um 26 Weinfelder Ansichten, 2021).
24.03.2021
Michael Mente – ist Historiker, Archivar, Autor verschiedener Bücher und Beiträge und arbeitet derzeit in der Denkmalpflege des Kantons Thurgau. Er ist in Weinfelden aufgewachsen und schreibt für den Wyfelder seit Start. In der Reihe «Fundstücke aus der Weinfelder Geschichte und Kultur» erzählt er uns zudem in loser Reihenfolge durch «sein» Weinfelden spazierend von unserem Städtchen.