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Damit wir herauskommen, gilt es Mass zu gewinnen

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Dieser Tage erinnern manche an die dunklen Stunden des Nationalsozialismus, etwa an die Einführung des Judensterns im Spätsommer 1941. Auch ich denke in diesen Tagen an jene Zeiten. Mein Grossvater wurde am 19. September 1944 auf offener Strasse in Kopenhagen beim Einkauf eines Geburtstagsgeschenkes für meine Grossmutter von der Gestapo verhaftet, so wie alle Polizeimitarbeitende. Zwei Monate später verstarb er im Konzentrationslager Buchenwald. Zeitlebens hat dies meine Mutter geprägt, sie jeglichem Fanatismus gegenüber höchst sensibel gemacht.

Doch der Zusammenhang, in den die Erinnerung an jene dunkle Zeiten von damals gestellt wird, ist ein anderer. Die Massnahmen zur Bekämpfung von Covid 19 werden mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus gleichgesetzt – so geschehen kürzlich im Thurgauer Grossen Rat, die Zertifikatspflicht mit dem Judenstern verglichen, das Impfen mit der Vernichtung ganzer Völker. Diese Parallelisierung wühlt mich auf. Es fällt mir schwer, die Beherrschung nicht zu verlieren. Ja, da tut sich ein tiefer Graben vor mir auf zu jenen, die solches für wahr halten. Ein Graben, für den sie selber die Hauptverantwortung tragen.

Der Graben ist abgrundtief. Erstens überhöht der Vergleich das vermeintliche Leiden von Ungeimpften, allen voran der coronaleugnenden. Damit einhergehend – und das ist es, was mich am meisten aufwühlt – verniedlicht es zweitens das wahre Leiden jener, die für ihre Überzeugung, Rasse oder Religion in den KZ’s mit ihrem Leben bezahlen mussten. Und drittens verteufelt der Vergleich alle, die sich um den Schutz der Bevölkerung kümmern und verhöhnt jene, die sich mit Impfen, Maske und/oder Testen schützen, als Schlachtschafe.

Das Impfen zu verweigern ist kein Akt des Widerstands, sondern bestenfalls auf gute medizinische Gründe zurückzuführen wie etwa eine Immunschwäche oder eine Schwangerschaft. Für alle anderen ist die Impfweigerung eine persönliche Wahl, mit deren Folgen man zu leben hat, sei dies ein erhöhtes Risiko für schwierige Krankheitsverläufe, sei dies die Pflicht zum Testen, wenn man an gewissen gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen will.

Das Covid-Zertifikat ist keine Kennzeichnung einer höheren Rasse oder Klasse (womit der Vergleich zum Judenstern auch nochmals aus anderer Perspektive als pervers zu bezeichnen ist), sondern bestenfalls eine Bestätigung, dass man zurzeit andere keiner grossen Ansteckungsgefahr aussetzt und daher an gewissen gesellschaftlichen Anlässen teilnehmen kann.

Als Gesellschaft sind wir aber damals wie heute herausgefordert. Denn heute wie damals drohen uns viele Niemande:

Niemand wollte den Hass, niemand den Krieg.
Niemand war alleine, niemand ungeliebt.
Niemand ist alleine, niemand ungeliebt.

Die vielen zu Niemanden Gewordenen
diese Niemande wollen den Hass, den Krieg,
diese Niemande waren alleine und ungeliebt.

Niemand schreit Verräter, Niemand ist dabei.
Niemand hetzt auf, Niemand greift zum Stein.

Lasst keinen ein Niemand werden, dessen Wahl das Nichts ist, um Jemand zu sein.

Damit wir als Gesellschaft heraus- und weiterkommen, gilt es herunterzukommen, nüchtern zu werden, tief durchzuatmen, Mass zu gewinnen. Weder ist jemand so gross, dass er klein, noch so klein, dass er gross gemacht werden muss. Es geht nur zusammen, alle auf die je eigene Weise. Miteinander. Verantwortlich. Ruhig. Sorgsam.


ZVG: Anders Stokholm, Stadtprädident Fraurenfeld

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